Fragen rund um das Thema EINSCHULUNG
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Ihr Kind wird sechs Jahre alt, also steht die Einschulung vor der Tür. Damit wird unweigerlich ein neues Kapitel im Leben des Kindes aufgeschlagen, für die meisten ein erfreuliches Kapitel und für manche ein leidvolles. Und vielleicht kann man gerade an diesem Punkt ein paar Fehler vermeiden, die dafür sorgen, dass es jetzt oder später Probleme gibt - dazu ein paar Ratschläge aus schulpsychologischer Sicht.
Grundsätzliches:
- (1) Die Schulpflicht beginnt für Kinder, die bis zum Beginn des 30. Juni das sechste Lebensjahr vollendet haben, am 1. August desselben Kalenderjahres.
- (2) Kinder, die nach dem in Absatz 1 genannten Zeitpunkt das sechste Lebensjahr vollenden, können auf Antrag der Erziehungsberechtigten zu Beginn des Schuljahres in die Schule aufgenommen werden, wenn sie die für den Schulbesuch erforderlichen körperlichen und geistigen Voraussetzungen besitzen und in ihrem sozialen Verhalten ausreichend entwickelt sind (Schulfähigkeit).
Die Entscheidung trifft der Schulleiter. Vorzeitig in die Schule aufgenommen Kinder werden mit Aufnahme schulpflichtig.
Weiter zur vorzeitigen Einschulung:
- Die Schulleiterin oder der Schulleiter trifft die Entscheidung unter Berücksichtigung des schulärztlichen Gutachtens und nach einem Beratungsgespräch mit den Erziehungsberechtigten. Das Beratungsgespräch mit den Erziehungsberechtigten soll mit einem persönlichen Kennenlernen des Kindes verbunden werden.
Und zur Zurückstellung:
Die Schulleiterin oder der Schulleiter kann ein schulpflichtiges Kind gemäß §4 SchpflG vor der Einschulung für ein Jahr vom Schulbesuch zurückstellen, wenn im schulärztlichen Gutachten erhebliche Bedenken gegen die Einschulung geltend gemacht werden. Vor der Entscheidung sind die Erziehungsberechtigten anzuhören.
- Auf Antrag der Erziehungsberechtigten kann die Schulleiterin oder der Schulleiter ein schulpflichtiges Kind für ein Jahr zurückstellen, wenn aufgrund eines Berichtes des bisher besuchten Kindergartens oder eines ärztlichen oder psychologischen Gutachtens und nach einem Beratungsgespräch mit den Erziehungsberechtigten davon ausgegangen werden muss, dass das Kind durch die Teilnahme am Unterricht der ersten Klasse nicht angemessen in seiner Entwicklung gefördert werden kann. Vor der Entscheidung ist ein schulärztliches Gutachten einzuholen, sofern es noch nicht vorliegt.
- Die Schulleiterin oder der Schulleiter kann nach der Einschulung eine Schülerin oder einen Schüler für ein Jahr vom Schulbesuch zurückstellen, wenn eine ausreichende Förderung nicht möglich ist; dabei ist das Einvernehmen mit den Erziehungsberechtigten über die Zurückstellung ihres Kindes anzustreben.
Die Entscheidung erfolgt in der Regel innerhalb von sechs Wochen. Eine Zurückstellung nach der Einschulung setzt voraus, dass sich die Schulleitung durch eigene Beobachtungen im Unterricht davon überzeugt hat, dass eine ausreichende Förderung nicht möglich ist.
Zum Schulkindergarten:
- Der Schulkindergarten ist Teil der Grundschule und hat die Aufgabe, vom Schulbesuch zurückgestellte Kinder zur Schulfähigkeit zu führen.
- Noch nicht schulpflichtige Kinder können nicht in den Schulkindergarten aufgenommen werden.
- Schulpflichtige Kinder, die vom Schulbesuch zurückgestellt worden sind, können gemäß §4 Abs.2 SchpflG auf Antrag der Schulleiterin oder des Schulleiters durch das Schulamt zum Besuch des Schulkindergartens verpflichtet werden.
- Kann das Kind in zumutbarer Entfernung nicht in einen Schulkindergarten aufgenommen werden, so ist es im Einvernehmen mit den Erziehungsberechtigten zum Besuch des Unterrichts der Klasse 1 der Grundschule zuzulassen und im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten angemessen zu fördern.
Es gibt also einige Varianten bei der Einschulung:
- die vorzeitige Einschulung auf Antrag der Eltern,
- die "regelgerechte" Einschulung,
- die Zurückstellung nach Entscheidung der Schulleitung,
- die Zurückstellung nach Entscheidung der Schulleitung auf Antrag der Erziehungsberechtigten,
- die Zurückstellung nach einer sechswöchigen Beobachtung in der Schule.
Bei der Zurückstellung gibt es wieder drei Varianten:
- Besuch des Schulkindergartens,
- Besuch des Unterrichts der Klasse 1 trotz Zurückstellung,
- Verbleib im Kindergarten (nur in besonderen Ausnahmefällen).
Wichtig ist dabei immer der Satz "Über die Aufnahme entscheidet die Schulleitung".
Die Stellungnahme des Gesundheitsamts, eines Arztes oder eventuell auch eine Schulreifeuntersuchung beim Schulpsychologischen Dienst haben immer nur empfehlenden Charakter, die Entscheidung verbleibt uneingeschränkt bei der Rektorin oder dem Rektor der Grundschule.
Die körperliche Reife - nicht zu unterschätzen
Auch wenn Sie eine vorzeitige Einschulung ins Auge fassen, sollten Sie zur Sicherheit das Gespräch suchen.
Bedenken (besonders bei einer geplanten vorzeitigen Einschulung) sollten Sie haben, wenn Ihr Kind zum Beispiel
- noch sehr klein ist und insgesamt sehr 'kindlich' wirkt,
- kaum einen Tornister mit den nötigen Siebensachen alleine tragen kann,
- eine starke Neigung zu Allergien und/oder Infektionskrankheiten bestand oder noch besteht,
- Ihr Kind durch eine längere schwerwiegende Erkrankung oder einen Unfall eine erhebliche Ausfallzeit erlitten hat (vielleicht sogar mit längerem Krankenhausaufenthalt),
- Ihr Kind nach dem Kindergarten sehr müde und erschöpft wirkt, vielleicht noch unbedingt auf einen Mittagsschlaf angewiesen ist,
- Sie größere Probleme in der grobmotorischen Koordination bemerken (z. B. bei Radfahren, Balancieren, Klettern) oder in der feinmotorischen Koordination (z.B. beim Ausmalen und Ausschneiden, beim Bauen mit kleinen Legosteinen, beim Basteln).
Die intellektuelle Reife - oft überschätzt
Unterschiedliche Voraussetzungen
Es muss unterschieden werden zwischen den Fertigkeiten des Kindes und den Fähigkeiten. Beides kann bei Kindern im Einschulungsalter enorm unterschiedlich sein, muss aber getrennt voneinander betrachtet werden. Sicherlich gibt es Vorschulkinder, die ansatzweise lesen können (zumindest einzelne Wörter), ein paar Buchstaben beherrschen (oder auch fast alle), ihren Namen schreiben können (auch wenn der kompliziert ist), die einfache Rechenoperationen schon beherrschen.
Das führt dann oft zu dem Gedanken, dass "dieses Kind doch nun unbedingt in die Schule muss". Aber man sollte schon etwas genauer anschauen, was ein Kind "kann".
Zuerst stellt sich die Frage, woher ein Kind denn diese Fertigkeiten hat, also bestimmte Anfänge solcher 'Kulturtechniken' schon kann. Häufig ist es so, dass die Kinder ein bisschen Rechnen, Schreiben und Lesen von ihren älteren Geschwistern mitbekommen haben. Sie sind ja innerhalb der Familie auch vom Erledigen der Hausaufgaben irgendwie betroffen und lernen am Rande zwangsläufig ein wenig mit.
Kinder, die in einer Familie aufwachsen, in der viel gelesen wird, entwickeln natürlich auch früher ein Interesse daran, eben weil sie verstehen wollen, was die anderen denn da tun. Wer oft vorgelesen bekommt, möchte das vielleicht auch selber schneller können. Wenn Eltern oder Geschwister gelegentlich mal Briefe schreiben, wächst auch daraus möglicherweise ein Interesse an Buchstaben und Wörtern oder der Wunsch, das auch mal zu machen.
Wer viel mit Legosteinen spielt, hat zwangsläufig Kontakt mit 'Mathematik'; das mag sich merkwürdig anhören, aber Lego oder Vergleichbares ist für viele Kinder der erste Kontakt mit dem Rechnen (Beispiel: ich will eine Mauer bauen, die unten aus einem Stein mit acht Knöpfchen besteht; oben habe ich einen Vierer aufgesteckt, also muss ich einen zweiten Vierer suchen, oder zwei Zweier - Mathematik!). Und so gibt es viele weitere Beispiele, wie sich die Umgebung, in der ein Kind bisher aufgewachsen ist, auswirkt auf das, was ein Kind kann - und zwar sowohl auf Fertigkeiten als auf Fähigkeiten.
Was ist wichtig?
Ihr Kind sollte in der Lage sein, in vollständigen Sätzen und folgerichtig zu erzählen und zu beschreiben.
Dazu genügt, wenn es Ihnen einen üblichen Vorgang aus dem Kindergarten (zum Beispiel einen Streit um ein Spielzeug) so erzählen kann, dass Sie verstehen, was los gewesen ist.
'Vollständiger Satz' heißt nicht perfekte Grammatik, aber es sollte auch keine 'Kindersprache' mehr sein.
Wenn sie Ihrem Kind eine altersgemäße Alltagsgeschichte erzählen ("Ich kam gerade bei Ikea auf den Parkplatz, da passte jemand nicht auf und fuhr dem Vordermann hinten drauf....."), sollte es sie verstehen und auch ungefähr wiedergeben können.
Auf Fragen von Ihnen zu konkreten Dingen sollte Ihr Kind so antworten können, dass sich die Antwort auch wirklich auf die Frage bezieht. Wenn Sie also nach den Beteiligten einer Streiterei im Kindergarten fragen, sollte es die Kinder benennen und nicht nur erzählen, dass die Erzieherin geschimpft hat.
Ihr Kind sollte in der Lage sein, Symbole zu unterscheiden, zu vergleichen und in unterschiedlichen Zusammenhängen wiederzuerkennen, denn das ist eine Voraussetzung zum Erlernen des Lesens.
Was sind Symbole?
Die rote und die grüne Figur auf der Fußgängerampel, aber auch ein Stoppschild, ein gängiges Markenzeichen oder Ähnliches.
Ein ganz konkretes Beispiel: Zeigen Sie Ihrem Kind anhand geparkter Autos einen 'Mercedes-Stern' und ein 'Volkswagen-Logo' - und dann lassen sie Ihr Kind auf dem Spaziergang die nächsten zehn Volkswagen und Mercedes finden!
Ihr Kind sollte 'sortieren' können, und dabei ist 'sortieren' in vielerlei Hinsicht gemeint:
Sortieren nach dem Begriffspaar kleiner <> größer: Lassen Sie ihr Kind doch einfach mal die gute alte Knopfkiste durchwühlen und die kleinen und die großen Knöpfe heraussuchen. Pfiffige Kinder werden übrigens fragen, was denn nun mit den mittelgroßen Knöpfen ist!
Sortieren nach dem Begriffspaar leichter <> schwerer: Probieren Sie das zuerst mit gleichem Material; ein kleiner Kieselstein ist leichter als ein großer. Aber probieren Sie das auch mit unterschiedlichen Materialien; bei ungefähr gleich großen Stücken ist Holz leichter als Stein. Ein zusammengeknülltes Papier kann viel größer sein als ein Ziegelstein, aber trotzdem viel leichter.
Sortieren nach dem Begriffspaar schnell <> langsam: Auf der Autobahn wird schnell gefahren (die Bäume huschen schnell vorbei), in der Stadt langsam (die Schaufenster gleiten langsam vorbei). Und da wir ja leidgeprüfte AutofahrerInnen sind: Eigentlich möchte man auf der Autobahn schnell fahren, aber im Stau geht's nur langsam!
Sortieren nach dem Begriffspaar länger <> kürzer:
Das gilt in zweierlei Hinsicht, nämlich als räumliche Ausdehnung (längeres oder kürzeres Brett) und als Zeitspanne (kürzere oder längere Fernsehsendung).
Sortieren nach dem Begriffspaar früh <> spät: Eigentlich wollten wir so früh aufstehen, dass es noch dunkel ist, aber jetzt ist es schon so spät, dass die Sonne schon hoch am Himmel steht (übrigens, 'hoch' ist auch so ein Sortierbegriff) - und ebenso 'hell' und 'dunkel'.
Sortieren nach Zeit: Das ist zwar nicht ganz leicht, aber es ist schon von Vorteil, wenn Ihr Kind eine gewisse Vorstellung von Zeitspannen hat, also ungefähr einsortieren kann, dass eine Sekunde ganz kurz ist, eine Minute relativ kurz, eine Stunde schon ziemlich lang ist, ein Tag durch Hell und Dunkel gekennzeichnet ist und eine Woche zum Beispiel zwischen zweimal "Sendung mit der Maus" vergeht.
Sortieren nach dem Begriffspaar vorher <> nachher: Vorher ist es Mehl, Butter, Eier, Zucker - nachher ist es Teig. Und vorher ist es Teig - nachher ist es Kuchen. Und vorher hatte ich Hunger - nachher war ich satt.
Sortieren nach den Begriffen vor - hinter - über - unter - zwischen. Das Auto steht vor dem Haus, die Schaukel dahinter. Die Tiefgarage ist unter dem Einkaufszentrum, die Uhr hängt über der Tür, die Gabeln liegen zwischen den Messern und den Löffeln.
Wichtig ist auch das 'Kapieren' der Begriffe drunter und drüber. Vor der Schule ist es noch wichtiger, ob man bei der Stange am Klettergerüst drunter her kriecht oder drüber weg klettert; in der Schule soll man vielleicht mal in die Zeile drunter oder in
die Zeile drüber schauen.
Gerade kam das Wort 'Zeile' vor. Es ist gut, wenn Ihr Kind verstanden hat, dass gelesener oder zu schreibender Text in Zeilen 'sortiert' ist und dass (zumindest in unserer Kultur) Lesen und Schreiben immer irgendwie von links oben nach rechts unten 'sortiert' wird. Helfen Sie Ihrem Kind, indem Sie ihm vorlesen und dabei mit dem Finger die Zeilen nachfahren (auch wenn Sie das wirklich für sich nicht brauchen und es Ihnen blöd vorkommt). Achten Sie aber darauf, dass Ihr Kind neben ('neben' ist auch ein Sortierbegriff!) Ihnen sitzt, und nicht gegenüber, denn sonst muss es einen ganz schwierigen Umsetzungsvorgang (nämlich spiegelbildlich) vollziehen.
Eben kamen die Begriffe rechts und links vor. Gut, das ist ja auch für viele Erwachsene noch schwierig und muss wirklich nicht sein. Aber manchmal gibt es prima Eselsbrücken dazu. Tipp von meiner ältesten Tochter aus dem Jahr 1982 (da war sie fünf Jahre alt): "Links ist da, wo ich diesen kleinen Leberfleck auf dem Handrücken habe!" Hält bis heute!
Und weil wir nun gerade dabei sind, den Begriff des 'Sortierens' reichlich zu strapazieren:
Ihr Kind sollte sich auch selber 'sortieren' können. Damit meine ich zum Beispiel, dass Ihre Tochter oder Ihr Sohn nach entsprechender Anleitung und reichlich Zeit für Übung in der Lage sein sollte, seine "Werkzeuge " beieinander zu halten.
Die Lehrerin oder der Lehrer können nicht dafür verantwortlich sein, dass Ihr Kind am Ende des Schultags seine Sachen wieder in den Tornister packt. Das lässt sich an der Kindergartentasche durchaus schon üben.
Auch sollte Ihr Kind in der Lage sein, sich selbständig für den Sportunterricht umzuziehen (für das Bereitlegen des Turnzeugs sind erst mal noch Sie verantwortlich).
Das Pausenbrot will auch 'sortiert' sein (nämlich eingepackt).
Ihr Kind sollte schon in der Lage sein, sich etwa 15 Minuten lang konzentriert und ohne Abschweifen mit einem Spiel oder einer Aufgabe zu beschäftigen. Wichtig ist auch, dass Ihr Kind nach einer Unterbrechung das Spiel oder die Aufgabe wieder aufnehmen und beenden kann, also nicht immer von vorne beginnen muss.
Die folgenden Punkte fallen weniger in den Bereich der intellektuellen Schulreife, sondern zählen eher zur sozialen Schulfähigkeit, aber sie sollen schon hier angesprochen werden:
Es wäre gut, wenn Ihr Kind zuhause an das Einhalten gewisser Ordnungen gewohnt ist. Das selbstverständliche Aufräumen eines Arbeitsplatzes, wenn man mit der 'Arbeit' (zum Beispiel Basteln) fertig ist, gehört dazu - oder auch die einfache Erkenntnis, dass man einen Stift wohl spitzen muss, wenn er stumpf gemalt ist.
Schulen klagen manchmal über die Unselbständigkeit von Kindern, die gewohnt sind, dass die Eltern (meistens die Mütter) den 'Kleinkram' schon irgendwie erledigen werden.
Kann Ihr Kind sich anstrengen? Damit ist gemeint, ein Ziel auch dann noch zu verfolgen, wenn kleine (und damit überwindbare) Hindernisse auftauchen. Fragt es Sie bei solchen Hindernissen um Hilfe? Kann es Ihre Hilfe umsetzen in eine Lösung?
Ein schulfähiges Kind sollte auch in der Lage sein, sich durch einen Rückschlag (zum Beispiel hält beim Basteln an einer Stelle mal wieder der Kleber nicht!) nicht völlig entmutigen zu lassen, sondern um Hilfe zu fragen und einen anderen Lösungsweg zu verfolgen oder auch einen neuen Anfang zu probieren.
Braucht Ihr Kind noch dauernde Zuwendung oder kann es eine bestimmte Tätigkeit auch alleine über den Zeitraum einer Viertelstunde selbständig fortführen? Kann Ihr Kind auch mal abwarten? In der Schule werden einige Situationen auf es zu kommen, in denen man einfach mal einen Moment warten muss, bis Lehrerin oder Lehrer Zeit haben, sich um das Problem zu kümmern.
Die soziale Reife
Zur sozialen Reife Ihres Kindes kann Ihnen in der Regel der Kindergarten die wesentlichsten Auskünfte geben - natürlich im Zusammenwirken mit Ihren eigenen Beobachtungen. Dort hat Ihr Kind meist mindestens zwei Jahre in sozialen Zusammenhängen zugebracht und wurde von geschulten Erzieherinnen beobachtet. Viele Situationen im Kindergarten sind vergleichbar mit Situationen in der Schule, und deshalb lässt das Verhalten Ihres Kindes in der Kindergartengruppe durchaus Schlüsse zu auf das zu erwartende Verhalten in der ersten Klasse.
Kann Ihr Kind sich in eine Gruppe integrieren? Diese scheinbar einfache Frage muss etwas genauer betrachtet werden.
Sicherlich ist es wichtig, dass Ihr Kind sich bei Bedarf an einer Gruppenaktivität beteiligt, also bereit und in der Lage ist, gemeinsam mit anderen Kindern an einer Aufgabe zu arbeiten, eigene Ideen einzubringen und trotzdem die Ideen der anderen zu berücksichtigen, also gemeinsam auf ein Ziel hinzuarbeiten.
Diese Fähigkeiten werden in der Schule häufig erforderlich sein.
Es gibt aber auch Kinder, die durchaus gerne alleine sind, still für sich spielen, um sich herum gerne eine Zone der Ruhe haben und damit sehr zufrieden sind. Kinder sind eben unterschiedlich - zum Glück!
Andere Kinder wiederum sind ganz unglücklich, wenn sie nicht in der Gruppe sind, wissen mit sich alleine nichts rechtes anzufangen, können sich vielleicht nicht selbst beschäftigen.
Bei oberflächlicher Betrachtung könnte es so aussehen, als seien diese gruppenorientierten Kinder besser integriert und damit "sozial reifer". Das muss aber nicht so sein. Man sollte den eher stillen und zurückgezogenen Kindern ihren Freiraum lassen, solange sie sich "bei Bedarf" in eine Gruppe integrieren können; manchmal sind sie eben nur Individualisten.
Der Kindergarten hat Ihr Kind auch beobachtet unter dem Aspekt seiner "Streitkultur". Die Klasse ist - ebenso wie die Kindergartengruppe oder die Familie - eine soziale Gemeinschaft, in der es zwangsläufig auch zu Meinungsunterschieden oder Streitsituationen kommt. Der Kindergarten wird Ihnen sagen können, ob Ihr Kind
- auffallend häufig an Streitereien beteiligt ist;
- die Schuld generell bei den Anderen sieht;
- berechtigte eigene Interessen mit einer gewissen Beharrlichkeit durchsetzen kann;
- auf die berechtigten Interessen der anderen Kinder eingehen kann;
- sich auch mit Worten wehren kann und nicht gleich handgreiflich wird;
- auf Streitschlichtung angemessen reagiert.
Zur sozialen Reife im weiteren Sinn zählt auch die Frage: "Freut sich Ihr Kind eigentlich auf die Schule?" Natürlich gibt es immer Ausnahmen, aber die meisten Kinder im Alter von sechs Jahren freuen sich auf die Schule. Warum? Am wichtigsten ist wohl der gewaltige Schritt in Richtung auf das Erwachsenwerden.
In aller Regel sind die Kinder stolz, nun in der Institution "Schule" zu "arbeiten" und sehen weniger die Zwänge, die nun auf sie zukommen. Schließlich ist Schule auch ein ganz wesentlicher Schritt zur Selbständigkeit; man muss eben nicht mehr fragen "Was steht da geschrieben?" Sollten Sie bei Ihrer Tochter oder Ihrem Sohn nichts von dieser Wissbegier und Aufbruchsstimmung bemerken, kann das verschiedene Ursachen haben. Eine davon kann sein, dass Ihr Kind eben noch nicht schulreif ist und noch Zeit zum Spielen braucht. Möglich ist auch, dass ein Kind bei seinen älteren Geschwistern schlechte Erfahrungen mit Schule mitbekommen hat. Und vielleicht müssen Sie sich selbst die kritische Frage stellen, ob sie - möglicherweise unbewusst - ein negatives Bild von Schule vermitteln.
Niemals darf mit Schule gedroht werden, auch wenn einem der Satz "Na warte, bis Du erst in der Schule bist....!" schon herausrutschen kann. Nochmals: die große Mehrheit schulreifer Kinder freut sich auf die Einschulung und steht in den Startlöchern. Wenn das bei Ihrem Kind nicht so ist, sollte das ein Grund sein, genau hinzuschauen.
Vorzeitige Einschulung - ein paar Faustregeln zu Pro und Contra
Obschon das Einschulungsalter - wie erwähnt - nicht mehr genau festgeschrieben ist, erfordert eine gewünschte Einschulung vor Eintritt der Schulpflicht von Ihnen ein Tätigwerden. Es kommt also der Gedanke auf an vorzeitige Einschulung, und da helfen Ihnen vielleicht ein paar Faustregeln weiter. Der Name sagt es - Faustregeln sind grob!
Auch wenn es die alte "Kann-Kind-Regelung" nicht mehr gibt, nach der man bei Kindern mit Geburtstagen in der zweiten Jahreshälfte an eine vorzeitige Einschulung denken kann, macht sie inhaltlich noch Sinn. Es ist ein Unterschied, ob ein Kind mit Geburtstag im August relativ knapp an der Schulpflicht "vorbei geschrammt" ist oder doch sehr deutlich jünger als das Gros der Mitschülerinnen und Mitschüler sein wird.
Bei einem Mädchen kann man eher an vorzeitige Einschulung denken als bei einem gleichaltrigen Jungen. Es lässt sich nicht leugnen, dass die meisten Mädchen in diesem Alter in jeder Hinsicht einen deutlichen Entwicklungsvorsprung vor den Jungen haben und sich erst bei den 14-15-Jährigen wieder etwa ein "Gleichstand" der Entwicklung einstellt.
Ein Kind mit älteren Geschwistern wird eher für eine vorzeitige Einschulung in Frage kommen als das älteste Kind einer Familie oder ein Einzelkind. Die Gründe dafür sind eigentlich ziemlich offensichtlich und auch schon mehrfach in diesem Text angesprochen worden.
Kinder, die schon länger im Kindergarten sind, wollen öfter selbst in die Schule. Zumindest den intelligenteren Kindern (und um die wird es bei der Frage vorzeitiger Einschulung ja gehen) wird ein drittes Kindergartenjahr oft deutlich langweilig. In manchen Fällen kann die Dauer des bisherigen Kindergartenbesuchs ein zumindest mit zu berücksichtigendes Kriterium sein. In anderen Fällen rächt sich hier manchmal ein früher begangener Fehler, nämlich der zu frühe Übergang in den Kindergarten.
Wenn Sie selbst erhebliche Zweifel haben: Lassen Sie es! Im Zweifelsfall sollten Sie gegen vorzeitige Einschulung entscheiden.
Ein paar "Nebensächlichkeiten"
Natürlich sollen Sie Ihr Kind beteiligen an den Überlegungen rund um die Einschulung. Aber vergessen Sie bitte nicht: Ihr Kind kann nicht entscheiden! Über die letztendliche Aufnahme in die Schule entscheidet die Leitung, über z.B. das Stellen eines Antrags auf vorzeitige Einschulung entscheiden Sie.
Vermeiden Sie dabei einen Fehler: Machen Sie Ihr Kind nicht "heiß", solange die Entscheidung für oder gegen Einschulung nicht gefallen ist. Solange die Sache in der Schwebe ist, darf das Kind nicht schon mental auf den Schulbesuch eingestellt werden. Das kann durch Kleinigkeiten passieren ("Du als Schulkind ....") oder durch spektakuläre Aktionen wie den Kauf des Schulranzens (der ist für jedes Kind ein Ereignis!). Ab einem bestimmten Punkt von Vorbereitungen ist es sehr schwierig für ein Kind, wenn die "Aktion Schule" doch noch abgeblasen werden muss.
Sie sollten generell die Kinder nicht vorzeitig komplett mit Material für die Schule ausstatten. Ranzen, Butterbrotdose, Turnbeutel.... - das kann man dann kaufen, wenn die Einschulung klar ist. Schulspezifisches Material wie Stifte, Zeichenblöcke und Ähnliches sollten Sie vorerst nicht anschaffen, denn Schulen haben unterschiedliche Vorstellungen von den idealen Materialien und werden Sie rechtzeitig informieren, was nötig ist bzw. in welcher Ausführung gewünscht wird.
Meist gibt es dazu einen Informationsabend vor den Sommerferien, es bleibt also genügend Zeit, die Schultüte noch mit den gewünschten Sachen zu füllen.
Versuchen Sie bitte, in den alltäglichen Gesprächen mit dem Kind kein falsches Bild von der Schule zu vermitteln. Strikt verboten ist natürlich jedes Drohen mit dem kommenden Schulbesuch, aber auch ein euphorisches "Hochjubeln" der kommenden Schulzeit sollte vermieden werden, weil hier der Grundstein für spätere Enttäuschungen gelegt werden kann, wenn unrealistische Erwartungen geweckt worden sind. Versuchen Sie, Schule bzw. den Schulbesuch als das darzustellen, was Schule und Schulbesuch sind - nämlich selbstverständlich!
Der Beginn der Schulzeit ist ein ganz wesentlicher Schritt in der Kindheit. Es werden Grundsteine gelegt für mindestens zehn Jahre einer ähnlichen "Berufstätigkeit" Ihres Kindes, und darüber hinaus natürlich auch für das ganze Leben; damit meine ich nicht Schulabschlüsse, die dann wieder zu bestimmten Ausbildungsgängen berechtigen, sondern es geht um den Aufbau und den Erhalt einer Freude am lebenslangen Lernen. Hier begangene Fehler können in manchen Fällen weit reichende oder zumindest langfristige Folgen haben - aber zum Glück lassen sich die meisten Fehler leicht vermeiden.
Leonard Liese
Schulpsychologe NRW